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#10

Nachhaltiger Rettungsdienst – Ein Aspekt von Sicherheitskultur

A. Neumayr
„Wie können Rettungsdienste klimaneutral werden?“

Green Deal im Rettungsdienst

Wissenschaftliche Publikationen zu dieser Thematik liegen bislang kaum vor [1, 2, 3]. In der Praxis zeigen jedoch erste Pilotprojekte großes Innovationspotenzial.
Zur Reduktion des CO2-Fußabdrucks sollen folgende Schwerpunkte gesetzt werden: Ein nachhaltiges Medikamenten-, Sachartikel- und Abfallmanagement sowie Fuhrpark-, Energie- und Infrastrukturmanagement. Zum Schutz der Mitarbeitenden sind zudem ein klimaresilientes betriebliches Gesundheitsmanagement sowie Angebote für klimafreundliche Mobilitätskonzepte wichtig.

Nachhaltiges Sachartikelmanagement im Rettungsdienst

Um den CO2-Fußabdruck für Sachartikel, Medizinprodukte oder Behandlungsmaßnahmen im Rettungsdienst zu messen, oder dies z. B. von der Pharma- und Medizinprodukteindustrie einzufordern, kann ein Life Cycle Assessment (LCA) durchgeführt werden. Dabei wird der ökologische Fußabdruck der verwendeten Sachartikel von der Rohstoffgewinnung, Verarbeitung, Verpackung über die Transportwege, Nutzung, Wiederverwendung und Instandhaltung bis zur Entsorgung und zum Recycling z. B. unter den Aspekten CO2-Freisetzung, Wasser- und Energieverbrauch und/oder der Freisetzung von Toxinen analysiert [4].
Durch eine LCA wurde z. B. festgestellt, dass der umweltschädliche Einfluss einer Mehrweg-Larynxmaske um 50 % geringer ist als die Verwendung eines Einwegprodukts [5, 6]. Auch Mehrwegtextilien (Abdeckungen, Schutzmäntel, Wärmedecken) verbrauchen deutlich weniger Energie, Wasser, Kohlenstoff und organische Chemikalien und sind vielfach zu ähnlichen Kosten und mit demselben Schutzniveau wie Einwegtextilien zu erhalten. Rettungsdienste könnten nichtsterile Produkte wie Einmalpatientendecken, Sauerstoffmasken und Nasenbrillen anstelle von Einzelverpackungen in hygienischen Dispenser-Entnahmesystemen vorhalten und Umverpackungen vermeiden [2].

Ökologisch sinnvolles Medikamenten- und Abfallmanagement

Im nachhaltigen Medikamentenmanagements steht im Rettungsdienst etwa der Verwurf von Medikamenten im Fokus. Hierbei könnte eine Anpassung des vorgehaltenen Ampullariums, durch die der Verwurf von abgelaufenen Medikamenten reduziert wird, eine Lösung bieten, ggf. ebenso kleinere Ampullen- oder Infusionsgrößen, wenn diese häufig nur angebraucht und dann entsorgt werden.
Kooperationen mit Krankenhäusern könnten genutzt werden, um Medikamente mit nahendem Ablaufdatum gegen neue auszutauschen, wenn diese, im Gegensatz zur Präklinik, innerklinisch häufig verwendet werden. Eine Studie von Gillerman und Browning (2022) zeigt, dass verworfene Medikamente ca. ein Viertel der Gesamtkosten der Medikamente ausmachen [7].
Normalerweise müssen Medikamentenreste verbrannt werden. Die Entsorgung unverbrauchter Medikamente in den Abguss ist ökologisch inakzeptabel.
Für den Rettungsdienst gilt: Medikamentenreste können im Bedarfsfall während des Einsatzes in Zellstofftücher entleert und diese zum zu verbrennenden medizinischen Müll gegeben werden. Spritzt man einer Vollelektrolytlösung keine Medikamente zu, kann diese in den Abguss entleert werden.
Generell muss jede Rettungsdienstorganisation ein System zur fachgerechten Entsorgung von abgelaufenen Medikamenten und Medikamentenrückständen etablieren. Dieses System ist Teil eines umfassenden Abfallmanagements, bei dem zwischen allgemeinem und klinischem Abfall unterschieden wird. Letzterer umfasst infektiöse und pathogene Inhalte, scharfe Gegenstände (Kanülen) sowie pharmazeutische und radioaktive Materialen.

Kosten der Müllverbrennung

Pro Tonne Sondermüll kostet die notwendige Verbrennung bei 1.000 °C bis zu 800,– €, die Entsorgung von Haushaltsabfällen ist dazu mit 80,– € pro Tonne vergleichsweise günstig. Untersuchungen zeigten, dass beispielsweise fast 70 % des OP-Abfalls recycelbar wären, diese jedoch trotzdem als klinischer Abfall entsorgt werden [8].
Zu ähnlichen Ergebnissen kommt eine Stichprobe aus einem Rettungsdienstbereich mit 10 Rettungstransportwagen (RTW) und 3 Notarzteinsatzfahrzeugen (NEF). Hier hatten in 24 h bei insgesamt 112 Einsätzen 46 % des Abfalls ungenutztes Recyclingpotenzial [1]. Demzufolge könnten etwa Papier- und Kunststoffverpackungen von medizinischen Verbrauchsmaterialien in entsprechende Abfallbehälter getrennt werden.

Tab. 32.3 5-R-Regel zur Nachhaltigkeit im Rettungsdienst*
recycleVerwende wiederverwertbare Materialien
reduceReduziere Abfall z.B. durch Umverpackungen
reuseVerwende Mehrweg- und weniger Einwegprodukte
researchForciere Forschungsfragen zur ökologischen Nachhaltigkeit im Rettungsdienst
rethinkÜberdenke z.B. eigene/firmeninterne Mobilitäts- (Klimaticket, e-Mobilität), Energie- (Solarenergie) oder Wasserverbrauchskonzepte (Reinigung Fuhrpark)
*erstellt in Anlehnung an Grannemann et al. 2024

Nachhaltiges Fuhrparkmanagement

In Bezug auf den rettungsdienstlichen Fuhrpark ist die Reduktion des CO2-Fußabdrucks im Patient:innentransport nur mit dem Umstieg auf nichtfossile Antriebsarten (Mobilität, Wasserstoffbrennzelle) möglich [9]. Bei langen Fernfahrten könnten Hybridfahrzeuge den fossilen Kraftstoffverbrauch reduzieren. Für kurze Strecken wie ggf. beim städtischen Rettungs- und Notarzteinsatz nutzt z. B. die Wiener Berufsrettung seit 2024 zwei vollelektrischen NEF (Wien ORF.at 2024). Der benötigte Strom wird durch eine Photovoltaikanlage auf dem Dach der Rettungswache erzeugt. Bei guten Einsatzfahrtbedingungen schafft das E-NEF mehr als 400 km bis zur erneuten Aufladung. Desgleichen ist auch auf der Insel Borkum, Niedersachsen, bereits ein E-NEF im Einsatz, 2024 wurde zudem ein E-RTW angeschafft (Schmitz-Eggen 2020). Beim Krankentransportwagen (KTW) könnte das Gesamtgewicht des Fahrzeugs durch leichte und nachhaltige Materialien verbessert werden. KTW mit Kofferaufbau tragen, neben mehr Platz im Patient:innenraum, zur Gewichtsreduktion bei, womit ein geringerer Treibstoffverbrauch einhergeht. Mittelfristig könnten intelligente Navigationstechnologien in allen Fahrzeugen Gewicht und damit Treibstoff sparen. Eine weitere Möglichkeit der nachhaltigen Nutzung des Fuhrparks zeigt das Rote Kreuz Tirol. So wurden die Reinigungszyklen der Fahrzeuge an den tatsächlichen Reinigungsbedarf angepasst. Diese Maßnahme reduzierte den jährlichen Wasserverbrauch von 7 Mio. Liter auf 3,5 Mio. (Nachhaltigkeitsstrategie Rotes Kreuz Tirol 2024).

Nachhaltiges Energie- und Infrastrukturmanagement: die „Grüne Rettungswache“

Nachhaltiges Energiemanagement betrifft auch die Gebäude von Rettungsdiensten. Der oftmals beträchtliche Energieverbrauch durch Heizung, Lüftung, Beleuchtung oder Klimaanlage kann durch die Optimierung der Einstellung von Temperatur, Licht und Lüftung, z. B. durch ein Herunterregulieren der Anlagen außerhalb von Kernarbeitszeiten („night setback“, „unoccupied setback“) bewirkt werden. In weniger frequentierten Bereichen können Bewegungsmelder zur Steuerung der Beleuchtung eingebaut und Halogenlampen durch LEDs ersetzt werden. Energetische Sanierungen der baulichen Infrastruktur sind genauso wie die Berücksichtigung der Energieeffizienz bei Neubauten ein weiterer Aspekt der Nachhaltigkeit. Ein Best-Practice-Beispiel hierzu ist der Neubau der „Grünen Rettungswache Diez“ im DRK Landesverband Rheinland-Pfalz e. V. [10]. Die Räume wurden so ausgerichtet, dass die Nutzung von Sonnenlicht zur Verringerung der Beleuchtungsdauer verwendet werden kann. Beim Baumaterial wurde auf recyclebaren Beton, heimische Hölzer mit kurzen Transportwegen, recyceltem Glas und Schotter wert gelegt. Zur Unterstützung der eingebauten Luft-Wasser-Wärmepumpe und zur Deckung des Eigenstrombedarfs dient eine Photovoltaikanlage. Ein weiteres Best-Practice-Beispiel ist die Gründung einer „Bürgerenergiegemeinschaft“ im Rettungsdienst Tirol. Alle 11 Rotkreuz Bezirksstellen des Landes sowie der Landesverband Tirol können erneuerbare Energie (Photovoltaik) erzeugen, speichern und sich untereinander zu guten Konditionen zur Verfügung stellen. Ziel ist die Energieautarkie des Rettungsdienstes in Tirol (Nachhaltigkeitsstrategie Rotes Kreuz Tirol 2024).

Fazit für die Praxis

Rettungsdienste sollten sich, um im Rahmen der Sicherheitskultur die Gesundheit von Menschen sowie den Schutz von Natur und Umwelt zu gewährleisten, darum bemühen, in ihrer Organisation die Einführung eines Umweltmanagementsystems nach DIN ISO 14001 umzusetzen. Dazu bedarf es entsprechend geschulter Beauftragter für Nachhaltigkeit im Rettungsdienst, die die Zusicherung ihrer Führungskräfte zur Finanzierung und Umsetzung der entwickelten Nachhaltigkeitskonzepte erhalten.

Literatur

  1. Nohl A (2023) Nachhaltigkeit im Rettungsdienst – Recyclingpotential von Verbrauchsmaterialien aus Rettungsdiensteinsätzen. Anästh Intensivmed 64:109
  2. Grannemann JJ, Stock V, Johanning K, Kirchhoff C, Obermann C, Jansen G (2024) Green Emergency Medicine – Ressourcenschonung in der präklinischen Notfallmedizin. Eine Marktanalyse zur Verfügbarkeit ökologisch nachhaltiger Verbrauchsmaterialien. Notfall Rettungsmed (published online: 09 February) https://doi.org/10.1007/s10049-024-01282-w
  3. Neumayr A (2025) Klimawandel und Nachhaltigkeit im Rettungsdienst. In: Neumayr A, Baubin M, Schinnerl A, Krösbacher A (Hrsg.) Sicherheitskultur im Rettungsdienst. Grundlagen zur Patienten- und Mitarbeitersicherheit. Springer Berlin, Heidelberg. ISBN 978-3-662-69999-7
  4. Campbell M, Pierce T (2015) Athmospheric science, anaesthesia, and the environment. BJA Education 15(4):173–9
  5. Bertsch S (2022) Die klimafreundliche NarCO2se. Intensiv 30:323–328 Thieme connect. DOI:10.1055/a-1925-3979
  6. Eckelman M, Mosher M, Gonzalez A et al. (2012) Comparative Life Cycle Assessment of Disposable and Reusable Laryngeal Mask Airways. Anesth Analg 114(5):1067–71
  7. Gillerman RG, Browning RA (2000) Drug use inefficiency: a hidden source of wasted health care dollars. Anesth Analg 91(4):921–924 doi: 10.1097/00000539-200010000-00028. PMID: 11004049
  8. Wyssusek KH, Foong WM, Steel C, Gillespie BM (2016) The Gold in Garbage: Implementing a Waste Segregation and Recycling Initiative. AORN J 103(3):316.e1-8 DOI: 10.1016/j.aorn.2016.01.01 https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0001209216000430
  9. Schuster M, Richter H, Percher S, Koch S, Coburn M (2020) Positionspapier mit konkreten Handlungsempfehlungen* der DGAI und des BDA: Ökologische Nachhaltigkeit in der Anästhesiologie und Intensivmedizin. A&I Anästh Intensivmed 61:329–339 https://doi.org/10.19224/ai2020.329 https://www.ai-online.info/images/ai-ausgabe/2020/0708-2020/AI_07-08-2020_Sonderbeitrag_Schuster.pdf
  10. Fohn A (2024) Vortrag beim 7. Zukunftsforum Rettungsdienst, Bremerhaven, 27.02.2024 https://www.rettungsdienst-westerwald.drk.de/aktuell/presse-service/meldung/einweihung-der-rettungswache-diez.html

Internet

Nachhaltigkeitsstrategie Rotes Kreuz Tirol 2030 (Zugriff: 24.06.2025)
Das Rote Kreuz Tirol auf dem Weg zur Nachhaltigkeit, (auf www.meinbezirk.at, Zugriff: 24.06.2025)
Borkum bekommt ersten e-Rettungswagen (Schmitz-Eggen L (2020) auf www.rettungsmagazin.de, Zugriff: 24.06.2025)