Was ist ein Critical Incident Reporting System, kurz CIRS?
Ein CIRS ist ein Berichtssystem zur anonymisierten Meldung von kritischen Ereignissen und Beihnahe-Schäden z.B. im Rettungsdienst. Ein „CIRS ist also ein Instrument, um individuelles Wissen über kritische Ereignisse und ihre Ursachen, über Prävention und Lösungsmöglichkeiten in organisationales Wissen zu überführen.“ [1]
Welche Voraussetzungen benötigt ein CIRS?
Die wichtigste Voraussetzung ist eine gut funktionierende Sicherheitskultur im Rettungsdienst [2]. Dies bedeutet, die Mitarbeitenden werden unterstützt, ohne Angst vor beschämender Kritik offen über ihre erlebten (Beinahe-)Fehler oder kritische Situationen sprechen zu dürfen. Zugleich wird gemeinsam nach Lösungen gesucht, damit diese Fehler kein zweites Mal auftreten. Eine solche „Reporting Culture“ forciert das „organisationale Lernen“ einer Organisation, behebt somit auch systembedingte Fehlerursachen, und ist für die Sicherheit von Patient:innen und Mitarbeitenden unumgänglich.
Schritte zur richtigen Einführung eines CIRS
A) Organisationale Rahmenbedingungen
- Von Seiten der Führungsebene der RD-Organisation muss ein klares Statement zum hohen Stellenwert des CIRS als Möglichkeit auch systemischer Verbesserungen abgegeben werden.
- Vorab benötigt es eine schriftliche „Sanktionsfreiheitserklärung“, die den Meldenden von CIRS-Fällen zusichert, keine negativen Konsequenzen erwarten zu müssen.
- Den Meldenden wird von Seiten der Führung absolute Anonymität zugesichert. Dies gilt auch für die Anonymisierung der eingegebenen Fälle.
- Vor Einführung sollen entsprechende Schulungen zur Handhabung des CIRS erfolgen. Ebenso zu Crew Ressource Management (CRM) und den Grundlagen von Sicherheitskultur als Fundament von CIRS [3].
- Die Ergebnisse aus dem CIRS müssen im Rahmen von Verbesserungsmaßnahmen umgesetzt und im Plan-Do-Check-Act-Zyklus der RD-Organisation evaluiert werden, damit CIRS sinnstiftend betrieben wird [4], siehe Abb. 1.

B) Richtiger Umgang mit den Meldungen
- Die Meldungen müssen von dazu geschulten Verantwortlichen zeitnah anonymisiert, im Berichtsystem online gestellt und für die Leser:innen mit entsprechender Rückmeldung zu den geplanten Verbesserungsmaßnahmen versehen werden.
- Zur Analyse der CIRS-Fälle ist ein Expert:innenteam aus allen beteiligten Berufsgruppen zu installieren, welches die regelmäßige Bearbeitung der CIRS-Fälle gewährleistet und die vorgeschlagenen Verbesserungsmaßnahmen an die Entscheidungsträger kommuniziert.
C) Umsetzung von Verbesserungsmaßnahmen
- Oberflächliche Scheinverbesserungen oder Schnellschüsse (quick fixes) sind zu vermeiden. Eine mangelhafte Analyse oder die fehlende Einbindung beteiligter Systempartner kann zur unbeabsichtigten Verschlimm-Verbesserung führen, da u.U. negative neue Nebeneffekte nicht vorab mitbedacht wurden.
- Die Verbesserungsmaßnahmen sollen, wo zielführend, in entsprechenden Schulungen allen Mitarbeitenden nahegebracht werden [5].
- Best practice Beispiele aus den umgesetzten Maßnahmen sollen mit entsprechendem Lob an die Mitarbeitenden vermittelt und/oder publiziert und einem größerem Publikum zugeführt werden [6].
Publikationen zu Best Practice Beispielen aus dem Rettungsdienst Tirol
Neumayr A, Harisch D, Feix F, Gschnaller B, Schmidt-Tesch M, Rathgeb J
Ausbildung von CRM-Coaches: Ein Best-Practice-Beispiel aus Kitzbühel/Tirol
RETTUNGSDIENST, 2024 47(7): 62-66
Neumayr A, Golger P, Schwaiger D, Schinnerl A, Karl A, Baubin M.
Audits zur Dokumentationsqualität im Rettungsdienst – ein Muss!
Notfall Rettungsmed, 2024(3):27, 184-191, DOI: 10.1007/s10049-023-01142-z
Maurer A, Thaler M, Kremser Y, Golger P, Baubin M, Schinnerl A, Neumayr A.
PAR-AVISO. Die strukturierte Patientenübergabe.
Notfall + Rettungsmed. 2022 (Online: 23.11.2022)
Patrick Golger, Fabian Bundschuh, Agnes Neumayr
Room of Risk – eine Simulation mit CIRS-Fällen
In: Elsevier Emergency 2020, 1. Jahrgang, Nr. 3: 32-36
Agnes Neumayr, Günther Schwemberger, Benjamin Walder
CIRS und Nahtstelle Notaufnahme: das ABS-Briefing
In: A Neumayr, M Baubin, A Schinnerl (Hrsg.), CIRS im Rettungsdienst. Umgesetzte Maßnahmen und Lernpotenziale, S+K Verlag, 2019, 229-239
Agnes Neumayr, David Holzer
Ein Jahr CIRS Tirol: Beinahefehler bei der Bedienung von Fahrtrage und Tragestuhl
Rettungsdienst, 2018 (5):44-48
Armin Laiminger, Agnes Neumayr
Intubations-Geräteunterlage: Risikominimierung am Beispiel der endotrachealen Intubation
Rettungsdienst, 2017 (11), 32-35
Fazit für die Praxis
- Um ein CIRS auf Dauer „am Leben zu erhalten“, muss dieses Teil eines funktionierenden RM-Systems sein.
- Die Sinnhaftigkeit von CIRS wird durch die Darstellung der umgesetzten Maßnahmen untermauert.
- Der Lerneffekt aus CIRS intensiviert sich, wenn z.B. auftretende Beinahefehler bei Medizinprodukten, an entsprechende nationale/internationale Plattformen sowie die Hersteller weitergeleitet werden [7].
- Die Vernetzung der Rettungsdienste mit CIR-Systemen ist zukünftig unabdingbar notwendig, um gegenseitig zu lernen und damit das Lernpotential der Berichtssysteme auszuschöpfen [6].
Literatur
- Hofinger Gesine. CIRS – ein Aspekt einer informativen Sicherheitskultur im Rettungsdienst. In: Neumayr A, Baubin M, Schinnerl A (Hrsg.) CIRS im Rettungsdienst. Umgesetzte Maßnahmen und Lernpotentiale. Verlagsgesellschaft Stumpf + Kossendey mbH, Edewecht 2019, S. 22-31.
- Neumayr A, Baubin M, Schinnerl A, Krösbacher A (Hrsg.) Sicherheitskultur im Rettungsdienst. Grundlagen zur Patienten- und Mitarbeitersicherheit. Springer Berlin, Heidelberg 2025. ISBN 978-3-662-69999-7
- Op Hey F, Rall M. Einführung eines CIRS im Rettungsdienst: Theoretische Grundlagen und praktische Voraussetzungen. In: CIRS im Rettungsdienst. Umgesetzte Maßnahmen und Lernpotentiale. Verlagsgesellschaft Stumpf + Kossendey mbH, Edewecht 2019, S. 32-45.
- Neumayr A, Seeböck D, Stocker R, Kindermann P, Karl A. CIRS und Risikomanagement: Chancen, Herausforderungen und Innovationspotentiale. In: CIRS im Rettungsdienst. Umgesetzte Maßnahmen und Lernpotentiale. Verlagsgesellschaft Stumpf + Kossendey mbH, Edewecht 2019, S. 177-191.
- Holzer D, Sicherer Umgang mit Fahrtrage und Tragstuhl – ein Erfolgsprojekt durch CIRS. In: CIRS im Rettungsdienst. Umgesetzte Maßnahmen und Lernpotentiale. Verlagsgesellschaft Stumpf + Kossendey mbH, Edewecht 2019, S. 277-287.
- CIRS im Rettungsdienst. Umgesetzte Maßnahmen und Lernpotentiale. Verlagsgesellschaft Stumpf + Kossendey mbH, Edewecht 2019
- Castner Th. Critical Incident Reporting Systeme für Zwischenfälle mit Medizinprodukten. In: CIRS im Rettungsdienst. Umgesetzte Maßnahmen und Lernpotentiale. Verlagsgesellschaft Stumpf + Kossendey mbH, Edewecht 2019, S. 151-164.