Was versteht man unter Room of Risks?
„Room of Risks” ist eine interaktive Lernmethode aus dem Bereich Risikomanagement. In dieser Methode werden bereits bekannte (Beinahe-)Fehler, z.B. aus dem Critical Incident Reporting System (CIRS), in vorab vorbereitete Übungsszenarien eingebaut. Aufgabe des Schulungsteams ist es, die eingebauten Fehler unter vorgegebener Zeit zu finden und zu dokumentieren. In der anschließenden Diskussion der vom Team erkannten „Fehler“ entsteht Sicherheitsbewusstsein. Ziel der Schulung ist es, den offenen Umgang mit Fehlern zu lernen und Sicherheitskultur zu stärken.
Hintergrund
Mitarbeitende im Rettungsdienst sind tagtäglich kritischen Situationen ausgesetzt. Zeitkritische Einsätze unter Stress, mit ständig wechselnden Arbeitsumgebungen und Teams, unter oftmals schwierigen Hygiene- oder engen Raumverhältnissen und mit begrenzten diagnostischen Mitteln, begünstigen das Auftreten von Fehlern. Im Risikomanagement sowie der entsprechenden Forschung führte diese Erkenntnis zur Etablierung der sogenannten Sicherheitskultur I und II [1, 2]. Neue Lehr- und Lernmethoden wie Simulationstrainings, Crew Ressource Management (CRM) und Human Factor Trainings entstanden [3]. Im Mittelpunkt steht nunmehr nicht mehr die Suche nach dem Schuldigen, sondern das offene Sprechen über Fehler und damit die Risikominimierung durch Fehlerprävention [4, 5].
Im Folgenden wird die Lernmethode „Room of Risks” anhand des Szenario „Akutes Koronarsyndrom“ vorgestellt.
Methodische und inhaltliche Vorgaben im Room of Risks
Im ersten Schritt der Schulung erklärt der Instruktor dem Team den Ablauf des „Room of Risks“ und gibt das Fallbeispiel für das jeweilige Szenario vor (siehe Tab. 1). Nach Klärung etwaiger Fragen hat das Team 15 Minuten Zeit, um alle Fehler- und Gefahrenquellen, die im Szenario eingebaut sind, zu finden (siehe Abb. 1). Die gefundenen Fehler notiert das Team in der vorbereiteten Fehlerliste und beantwortet gemeinsam folgende Fragen: Welche Risiko- und Fehlerquellen liegen vor? Welche Faktoren begünstigen deren auftreten? Wie beurteilen Sie das Gefahrenausmaß für Patienten und Personal? Welche Möglichkeiten und Hilfsmittel stehen präventiv zur Risikoreduktion zur Verfügung? (siehe ausgewertete Fehlerliste in Tab. 1)
Tab. 1: Übungsszenario: Akutes Koronarsyndrom – ACS (ausgewertetes Beispiel) | ||||
Die Dienstmannschaft wurde mit dem Einsatzstichwort „Herzbeschwerden“ alarmiert und ist vor Ort bei einem männlichen Patienten ca. 72 Jahre, der über starke Brustschmerzen und Herzstolpern klagt. Die Mannschaft hat den Patienten bereits nach dem ABC-D-E Schema beurteilt und den Notarzt alarmiert mit Berufungsgrund ACS-Symptomatik, Tachykardie 145 und Hypertonie von 190/110 mmHg. Das Notarzteinsatzfahrzeug ist auf Anfahrt, das Monitoring ist durch den zweiten Sanitäter vervollständigt, der intravenöse Zugang ist für den Notarzt zur medikamentösen Therapie gelegt. Der Patient wird transportfähig gemacht. | ||||
Welche Risiko- und Fehlerquellen liegen vor? | Welche Faktoren begünstigen deren auftreten? | Welche/s Gefahrenausmaß/Auswirkungen für Patienten & Personal liegen vor? | Welche Möglichkeiten und Hilfsmittel stehen präventiv zur Risikoreduktion zur Verfügung? | |
1 | Lagerung mit erhöhten Beinen | Fehlinterpretation des Patientenzustands, Fixierungsfehler | Zustandsverschlechterung bis hin zum Atem-Kreislaufstillstands Patienten | Im Einsatz: Speak-up (ISBAR*), im Debriefing Problematik erklären |
2 | Infusionsgerät nicht entlüftet (gespiegelt, aber nicht entlüftet) | Stress, Unachtsamkeit | Im schlimmsten Fall Pulmonalembolie in der Lunge → Atem-Kreislaufstillstand | Closed-Loop-Communication, 4-Augen-Prinzip, Kontrolle durch Notarzt bei Übergabe |
3 | Falsche Defibrillationselektroden | Ungenauer Geräte-(MPG)-Check, Stress, Unachtsamkeit | Im schlimmsten Fall Verzögerung der Defibrillation und Tod des Patienten | Gewissenhafte Checks zu Dienstbeginn, Wissen um Ersatzelektroden |
4 | Verpackung der Venenverweilkanüle ist beschädigt | Ungenauer MPG-Check | Erhöhte Infektionsgefahr für Patienten | Gewissenhafte Checks zu Dienstbeginn, Wissen um Ersatzmaterial im Fahrzeug |
5 | EKG-Elektroden falsch geklebt (grün und schwarz vertauscht) | Unwissenheit, äußere Einflussfaktoren (zu wenig Licht) | Falsche EKG Interpretation durch Notarzt | Kontrolle, Speak-up, (ISBAR*) |
6 | Brustwandableitungen nicht geklebt | Fehlendes Training, Stress, Unwissenheit | Verzögerung der Einleitung Therapie | Training, offene Kommunikation, Debriefing nach dem Einsatz |
7 | EKG-Elektroden mehr als 7 Tage geöffnet | Unwissenheit, Ungenauer MPG-Check | Schlechte Qualität des EKGs, Interpretationsschwierigkeiten, Verzögerung der Therapie | Saubere Beschriftung der Verpackung, gewissenhafte Checks zu Dienstbeginn |
8 | Müllsack und Abwurfbox nicht vorbereitet | Stress, Überforderung, Unwissenheit | Verletzungsgefahr für Patienten und Team | Kontrolle |
9 | C3: Stammkabel verkehrt eingesteckt Meducore: SpO2 nicht eingesteckt |
Unachtsamkeit, Stress, Unwissenheit | Verzögerung bei Gebrauch, keine Schockabgabe bei MPG Check | Kontrolle, Training |
10 | Blutdruckmessung und SpO2 an einem Arm | Unachtsamkeit, Stress | Fehler bei der SpO2 Messung während der nichtinvasiven Blutdruckmessung (NIBD) | Speak-up (ISBAR*) |
Mit Ablauf der 15 Minuten beendet der Instruktor die Fehlersuche. Nun erklären die Teammitglieder ihre gefundenen Fehler, wobei oftmals auch Fehler erkannt werden, die vorab nicht integriert waren, jedoch zusätzliches Lernpotential bieten. Im nächsten Schritt diskutiert das Team mit dem Instruktor die Fehlerursachen und die potentiellen Vermeidungsstrategien (Abb. 1).

Weiterentwicklung der Schulungsmethode „Room of Risks“
Möchte man die Idee des Room of Risks im Rahmen der Ausbildung zum Rettungs- und Notfallsanitäter professionell weiterverfolgen, so könnten z.B. etablierte Simulations-Notfallszenarien als Anregung dienen, um darauf aufbauend, standardisierte Room of Risks-Szenarien zu entwickeln, denn:- Aus Fehlern lernen ist ein optimaler Schulungsansatz zur Förderung der Sicherheitskultur und des Risikobewusstseins.
- Die Betrachtung aus einem anderen Blickwinkel, nämlich als Einsatzszenario mit eingebauten Fehlern, ist äußerst lehrreich. Routinefehler werden aufgezeigt, kritische Selbstreflexion und Diskussion angeregt, eigene Erfahrungen ohne Scheu eingebracht und damit das subjektive Fehlerbewusstsein geschärft: Könnte mir das auch passieren?
- Der interaktive Ansatz in der Gruppe fördert Teamwork und weckt bei allen den Ehrgeiz, die Fehler schnellstmöglich zu finden.
- Die Methode des „Learning by doing“ ist jener des Frontalvortrags jedenfalls vorzuziehen.
- Die hohe Praxisrelevanz der Szenarien fördert und festigt Fachwissen.
- Das gemeinsame, spielerische und wertschätzende Lernen ohne erhobenen Fingerzeit macht zudem richtig Spaß.
Literatur
- Koppenberg J (2016) Der Faktor Mensch: Human Factors. In: A. Neumayr et al. (Hrsg.) Risikomanagement in der prähospitalen Notfallmedizin, Springer-Verlag Berlin Heidelberg, 15–20.
- Rall M, Langewand S (2016) Für bessere und sicherere Zusammenarbeit: Crew Resource Management (CRM) im Rettungsdienst. In: A. Neumayr et al. (Hrsg.) Risikomanagement in der prähospitalen Notfallmedizin, Springer-Verlag Berlin Heidelberg, 21–36.
- Neumayr A, Baubin M, Schinnerl A (2019) (Hrsg.) CIRS im Rettungsdienst. Umgesetzte Maßnahmen und Lernpotentiale. Stumpf + Kossendey Verlag, Edewecht.
- Neumayr A (2019) Von Schuld- zur Sicherheitskultur: Fehler- und Risikomanagement in der präklinischen Notfallmedizin. Rettungsdienst, 2:3.
- Neumayr A, Holzer D (2018) Ein Jahr CIRS Tirol: Beinahefehler bei der Bedienung von Fahrtrage und Tragestuhl. Rettungsdienst, 5:44-48.