Definition Never Events
„Never Events sind identifizierbare schwerwiegende Ereignisse, die im Zusammenhang mit der präklinischen Behandlung auftreten und zu Patientenschädigungen geführt haben, jedoch durch implementierte Systemvorgaben und Präventionsmaßnahmen vermeidbar gewesen wären.“ (vgl. Patientensicherheit Schweiz, Never Events)
Wann ist ein Ereignis schwerwiegend?
- vorübergehende Schädigung, die zu einer zusätzlichen Intervention oder Intensivtherapie führt
- dauerhafte Schädigung
- wenn dadurch lebensrettendes Eingreifen erforderlich wird
- wenn dadurch der Tod eintritt oder herbeigeführt wird
Was gehört zur präklinischen Behandlung?
Dazu zählen alle diagnostischen, therapeutischen oder sonstigen Maßnahmen im Rahmen der gesamten rettungsdienstlichen Patientenversorgung, unabhängig von der Berufsgruppe der durchführenden Personen.
Was bedeutet die Aussage, Never Events wären vermeidbar gewesen?
Das Never Event Konzept beruht auf der Grundannahme, dass Präventionsmaßnahmen, Sicherheitsregeln und sicherheitsrelevante Vorgaben in der betreffenden (RD-)Organisation, die zum Zeitpunkt des Ereignisses als wirksam und mit vertretbarem Aufwand als umsetzbar und als allgemein bekannt betrachtet werden, ein Never Event vermeiden lassen. Im Umkehrschluss kann hier also u.U. auch auf ein Organisationsversagen rückgeschlossen werden.
Welche Never Events können innerklinisch auftreten?
Interventionen | Falsche/r Patient:in – Eingriffsverwechslung |
Implantation eines falschen Medizinprodukts | |
Fremdkörper bei Operation unbeabsichtigt belassen | |
Transfusion/Transplantation | AB0 und HLA-inkompatible Transfusion / Transplantation |
Medikation | Fehldosierung oder zu schnelle Verabreichung von Hochrisikomedikamenten |
Falscher Verabreichungsweg verwendet | |
Allgemeine Patient:innen-Versorgung | Verbrennungen und Verbrühungen |
Schädigungen durch Patient:innen-Fixierung | |
Beschickung einer Magensonde, deren Fehllage nicht ausgeschlossen wurde |
Welche Never Events können in der Präklinik auftreten?
Marung et al. entwickelten bereits 2015 mittels einer dreistufigen Experten-Befragung (Delphi Verfahren) unter mehr als 80 Expert:innen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz eine Never Event-Liste für die präklinische Notfallmedizin [3]. In dieser Liste wurden 27 Items, welche ein Never Event begründen, identifiziert, von denen in Tab. 2 einige aufgelistet sind.
Allgemeine Patient:innen-Versorgung | Fehlen einer telefonischen Reanimationsanleitung in der Leitstelle |
Auswahl eines ungeeigneten Krankenhauses für einen lebensgefährlich Erkrankten oder Verletzten | |
fehlende oder inadäquat angelegte Zervikalorthese | |
Intervention | unbemerkte Fehlintubation |
sekundäre Tubus-Dislokation | |
Medikation | Fehldosierung |
Medikamentenverwechslung [1] |
Die Ergebnisse wurden auf Kongressen und in Publikationen zur Diskussion gestellt und auf 33 Items weiterentwickelt [4]. Dabei wurde festgestellt, dass es für manche Items, wie etwa einer Patientenschädigung durch mangelhafte Immobilisation, z.B. durch eine fehlende oder inadäquat angelegte Zervikalorthese, noch weitere Studien benötigt, um eine wissenschaftlich evidente Aussage treffen zu können.
Aktuell entwickeln weltweit unterschiedliche Forschungsgruppen die Idee einer Never Event Liste für die Präklinik weiter [5]. So führte etwa eine Forschungsgruppe aus Schweden eine Auswertung von 1080 Rettungsdiensteinsätzen durch, wobei 46 unerwünschte Ereignisse identifiziert wurden, von denen 43 potentiell und drei zu einer Patientenschädigung geführt haben. Um diese näher zu bestimmen wurden sogenannte „Trigger Tools“ definiert, welche, retrospektiv betrachtet, Hinweise auf Sicherheitsmängel bei Rettungsdiensteinsätzen geben [2].
Die wichtigsten Trigger Tools zur Identifizierung kritischer Ereignisse [2]
- das Abweichen von Behandlungsstandards z.B. durch Applikation ungeeigneter Arzneimittel
- das Weglassen indizierter Medikamentengaben
- die fehlende, nicht plausible oder unvollständige Dokumentation [6]
Was ist zur Vermeidung von Never Events im Rettungsdienst notwendig?
- Die Etablierung interner Meldewege zur Erfassung von Never Events
- Die verpflichtende Umsetzung von Präventivmaßnahmen in der Organisation
- Die Untersuchung aufgetretener Never Events z.B. mittels Ursachen-Wirkungsanalyse
- Das Forcieren wissenschaftlicher Studien zu kritischen Ereignissen im Rettungsdienst
Literatur
- Gnirke A, Thon C (2019) CIRS in der Rettungsdienst-Kooperation in Schleswig-Holstein (RKiSH): Ein Baustein der Sicherheitskultur.
In: Neumayr A, Baubin M, Schinnerl A (Hrsg.) CIRS im Rettungsdienst. Umgesetzte Maßnahmen und Lernpotenziale. S+K Verlag. Flyer - Hagiwara MA, Magnusson C, Herlitz J et al. (2019) Adverse events in prehospital emergency care: a trigger tool study. BMC Emerg Med 24;19:14 doi: 10.1186/s12873-019-0228-3.
- Marung H, Moecke HP, Poloczek S, Lenz M (2015) Never Events: Building a consensus on patient safety in prehospital emergency care. Resuscitation 96, 122–123 doi: 10.1016/j.resuscitation.2015.09.290
- Marung H, Lenz M, Poloczek S (2021) Never Events in der Notfallmedizin
In: Buschmann C (Hrsg.) Das ABCDE-Schema der Patientensicherheit in der Notfallmedizin. Kohlhammer Verlag. - Marung H (2025) Kritische Ereignisse identifizieren und vermeiden. In: Neumayr A, Baubin M, Schinnerl A, Krösbacher A (Hrsg.) Sicherheitskultur im Rettungsdienst. Springer-Verlag.
- Neumayr A, Golger P, Schwaiger D, Schinnerl A, Karl A, Baubin M (2023) Audits zur Dokumentationsqualität im Rettungsdienst – ein Muss! Notfall Rettungsmed, DOI: 10.1007/s10049-023-01142-z
Internet
Patientensicherheit Schweiz
https://patientensicherheit.ch/forschung-entwicklung/never-events/