„Soll ich etwas sagen oder lieber den Mund halten?“ Diese Frage stellen sich Mitarbeitende im Rettungsdienst vor allem dann, wenn sie beobachten, dass das Verhalten eines Kollegen oder einer Kollegin eine potentielle Gefahr für die Sicherheit der Patient:innen darstellt. Warum ist es wichtig, Bedenken zu äußern? Die Gründe hierfür, erörtern wir im folgenden Beitrag.
Was bedeutet „Speak Up“?
„Speak Up!“ beschreibt eine Form der respektvollen Kommunikation unter Kolleg:innen und im Team, über Berufsgruppen und Hierarchiestufen hinweg, in der es darum geht, sich gegenseitig anzusprechen, wenn Bedenken zur Sicherheit von Patient:innen und/oder Mitarbeiter:innen auftreten. [1]
Eine Patientin wird mittels Tragstuhl zum Fahrzeug transportiert. Der langgediente Sanitäter gibt vor, die Sicherheitsgurte nicht anlegen zu müssen, da die Distanz zum Aufzug nur kurz und der Weg eben sei. Der Zivildiener schweigt. Er traut sich nicht, seine Bedenken zu äußern, obgleich er gerade in der Ausbildung gelernt hat, dass jeder Patient / jede Patientin im Tragstuhl nur gesichert transportiert werden darf. Im Bereich des Aufzugs befindet sich eine kleine Schwelle. Die beiden Sanitäter übersehen diese und fahren dagegen. Die Patientin fällt aufgrund des abrupten Abbremsen vom Tragstuhl und bricht sich den Arm.
„Speak Up“ ist die unmittelbare Kommunikation von Sicherheitsbedenken in rettungsdienstlichen (Notfall-)Situationen, in denen es akuten Handlungsbedarf gibt! Oft funktioniert dies auch über Mimik oder Gestik. Speak Up schützt Patient:innen und Mitarbeiter:innen vor potentiellen Fehlern. [2]
Was gehört nicht zum „Speak Up“? [3, 4]
Nörgeln, Kritik am grundsätzlichem Verhalten von Kolleg:innen oder Führungskräften, Mobbing, Jammern über die schlechten Arbeitsbedingungen im Rettungsdienst oder das Informieren der Öffentlichkeit bzw. der Medien über Missstände innerhalb der Organisation.
Gründe für Zurückhaltung und Schweigen [3, 4]
- Autoritäres Arbeitsklima, Missgunst, Konkurrenz, mangelndes Vertrauen
- Starke Hierarchien im Team, die nicht hinterfragt werden dürfen
- Bedenken, die Patient:innen zu verunsichern
- Wunsch, die Kolleg:innen nicht bloßzustellen
- Angst vor potentiell negativen Reaktionen der Angesprochenen oder vor Mobbing
- Befürchtungen vor negativen Folgen für das eigene Image, die Stellung im Team oder bzgl. der eigenen Karriere
- Unsicherheit, den richtigen Ton zu treffen
10 Tipps, damit „Speak Up“ gut funktioniert [5]
1 |
Beschreibe die Situation, so wie Du sie wahrnimmst Ich gurte die Patientin lieber an, denn wenn der Boden unerwartet uneben ist, könnte sie vom Tragstuhl fallen. |
2 |
Sprich den Kollegen/die Kollegin mit Namen an und stelle Blickkontakt her Anna, kannst Du bitte noch einmal überprüfen, ob …. |
3 |
Verwende Ich-Aussagen, bringe die eigene Sorge zum Ausdruck Ich bin mir nicht sicher, ob das stimmt. |
4 |
Biete konkrete Lösungsvorschläge an Ich schlage vor, dass wir die berechnete Dosis nochmals überprüfen. |
5 |
Frage nach, ob Dein Einwand gehört wurde. Hast Du meinen Einwand gehört? |
6 |
Nutze im Team verwendete und bekannte Formulierungen, sog. Codewörter, die alle sofort verstehen Lass uns ein 10-für-10 machen |
7 |
Reagiere situationsgebunden Reiche z.B. das Desinfektionsmittel oder die Einmalhandschuhe rüber. |
8 |
Bleib hartnäckig, sollte auf Deinen Einwand nicht eingegangen werden Wiederhole den Einwand höflich und gut hörbar. |
9 | Rege eine Nachbesprechung der Situation an |
10 |
Gib als Führungskraft Deinem Team Rückendeckung z.B. bei Patientenübergaben: Speak Up betrifft alle Gesundheitsberufe und ist interprofessionell und interdisziplinär genauso wichtig, wie im eigenen Team |
Speak Up! – Zentraler Bestandteil der Unternehmenskultur [5]
- Erkläre Auszubildenden, was mit Speak Up gemeint ist
- Mache neue Kolleg:innen im Team auf das Thema aufmerksam
- Unterstütze ein Arbeitsklima, in dem Speak Up integraler Teil der Arbeitskultur ist
- Trainiere bei Fortbildungen das „Speak Up“, wenn Dir potentielle Fehlerquellen auffallen oder Bedenken bzgl. bestimmter Handlungen bewusstwerden.
- Mache respektvolle und wertschätzende Kommunikation zum Aushängeschild Deiner Organisation, unabhängig von Hierarchien und Professionen.
Literatur
[1] Kröss R (2019) Anästhesie (A) – Speak Up! Evaluierung und Optimierung der Patientensicherheit nach Einführung von Crew / Crisis-Resource-Management-Training an einer anästhesiologischen Klinik in Österreich.
Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 54(S 01):5
DOI: 10.1055/s-0039-1700686
[2] Koppenberg J (2016) Der Faktor Mensch – Human Factors. In: Neumayr A, Baubin M, Schinnerl A (Hrsg.) Risikomanagement in der prähospitalen Notfallmedizin. Springer-Verlag Berlin Heidelberg, 15-20
[3] Schwappach D, Häsler L, Peter S (2018) Speak Up verbessert die Patientensicherheit. Pflegen: palliativ 39:15-17
[4] Schwappach D, Richard A (2018) Speak up-related climate and its association with healthcare workers’ speaking up and withholding voice behaviours: a cross-sectional survey in Switzerland. BMJ Qual Saf, bmjqs-2017-007388
PDF
[5] Österr. Plattform Patient:innensicherheit: Plakate und weitere Informationen:
https://www.plattformpatientensicherheit.at/themen-speak-up