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SAFETY 1 und SAFETY 2

A. Neumayr
„To Err is Human: Building a Safer Health System.”
Irren ist menschlich: bauen [wir] ein sicheres Gesundheitssystem. [1].

Von der Schuldkultur zur proaktiven Sicherheitskultur

Das Eingeständnis, dass Menschen Fehler machen, bewirkt seit den 1990er Jahren einen kulturellen Wandel.
Fragte man früher nach dem Verursacher des Fehlers, dem Schuldigen, so steht nun die Frage im Mittelpunkt:
Was können wir gemeinsam unternehmen, damit dieser Fehler kein zweites Mal auftritt?

Sicherheitskultur 1 – Minimierung von Fehlern

Das Eingeständnis, dass Menschen Fehler machen, führte in einer ersten Welle des Sicherheitsdenkens dazu, dass man Sicherheit gemäß der Definition im Duden als „Zustand des Sicherseins, Geschütztseins vor Gefahr oder Schaden; als höchstmögliches Freisein von Gefährdungen“ [2] betrachtete.
Dieser Zugang wird heute als Safety-1 oder als Sicherheitskultur 1 definiert. Im Mittelpunkt steht dabei, potentielle Fehler und Risiken ehestmöglich zu entdecken, deren Ursachen herauszufinden und Vorkehrungen zu treffen, um ihr Auftreten zukünftig zu vermeiden, zu minimieren oder gänzlichen zu verhindern.

Werkzeuge hierfür sind z.B.: Critical Incident Reporting System (CIRS), Fallbesprechungen, Debriefings, M&M-Konferenzen, Checklisten und standardisiertes Verfahrensanweisungen (SOPs), Merkhilfen (Cognitiv Aids), genauso wie Schadensanalysen, Failure Mode and Effect Analysen, London Protokoll. [3]
Die bewusste Auseinandersetzung mit den Fehlerursachen zeigte auf, dass häufig „menschlichen Faktoren“ Fehler verursachen. Im Crew Ressource Management und in Simulationstrainings rückten nun Aspekte wie effektive Kommunikation, Situationsbewusstsein, Aufgabenmanagement, Teamführung und Entscheidungsfindung in den Mittelpunkt von Ausbildung und Training.

Sicherheitskultur 2 – Aus Erfolg lernen

Safety-II verfolgt im Gegensatz zu Safety-I einen proaktiven Ansatz. Mitarbeitende im Rettungsdienst sind ständig dynamisch-wechselnden und komplexen Einsatzsituationen ausgesetzt. Dennoch meisten sie diese Herausforderungen meist äußerst positiv.
Der Safety-2 Ansatz fragt deshalb, wie und warum Dinge richtig laufen. Welche Rahmenbedingungen Mitarbeitende benötigen, um im Arbeitsalltag möglichst widerstandsfähig gegenüber Störungen zu bleiben.
Das heißt der Safety-2 Ansatz verfolgt eine positive Herangehensweise an Sicherheitskultur: Welche Faktoren fördern die Resilienz (Widerstandsfähigkeit) der Mitarbeitenden oder deren Gesundheit (Salutogenese), wodurch Fehler vermieden werden können [4]. (Abb. 3)


Abb. 3: Unterschiede von Safety-1 und Safety-2 [4]

Welches ist das geeignete System?

Im Rettungsdienst Tirol wird bislang hauptsächlich der Saftey-1 Ansatz verfolgt. Wichtig wäre es nun, die konsequente Weiterentwicklung in den Safety-2 Ansatz zu verfolgen. Beide Ansätze ergänzen einander und sollten gemeinsam ausgebaut werden. Dazu wären neue Werkzeuge, wie Learning from Excellence, Aufzeigen von Best Practice Beispielen oder das Abhalten von Sicherheitsgesprächen (warum laufen Prozesse meist richtig ab), in die RM-Strategie mit aufzunehmen. Zuallererst braucht es hierzu das Kommittent der Führungsebene.

Literatur

[1] Linda T. Kohn, Janet M. Corrigan, Molla S. Donaldson. To Err Is Human: Building a Safer Health System, Institute of Medicine (US) Committee on Quality of Health Care in America, Washington (DC): National Academies Press (US); 2000.

[2] https://www.duden.de/rechtschreibung/Sicherheit , Zugriff: 17.08.2023

[3] Neumayr A, Baubin M, Schinnerl A. Risikomanagement in der prähospitalen Notfallmedizin. Springer-Verlag Berlin Heidelberg; 2016

[4] Hollnagel E, Wears RL, Braithwaite J. From Safety-I to Safety-II: A White Paper, 2015. publiziert von den Autoren: https://www.england.nhs.uk/signuptosafety/wp-content/uploads/sites/16/2015/10/safety-1-safety-2-whte-papr.pdf, Zugriff: 17.08.2023